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Gelebte Selbsthilfe krebsbetroffener Menschen

“Sehr große Hoffnungen in das "Aachener Modell" setzen örtliche und überregionale Vertreter verschiedener Selbsthilfeorganisationen, die sich...Menschen widmen, die ein Krebsleiden...haben”, berichteten die Aachener Nachrichten am 28.04.1979. Die Aachener Woche bezeichnete am 3.05.1979 diesen besonderen Zusammenschluss von Selbsthilfegruppen und professioneller Sozialarbeit (Krebsberatungsstelle) als “Partnerschaftliche Krebs-Selbsthilfe”.

Die schon damals bundesweit organisierten Selbsthilfevereinigungen Bundesverband der Kehlkopflosen, Deutsche ILCO und Frauenselbsthilfe nach Krebs mit ihren Aachener Gruppen waren die entscheidenden Mitbegründer dieses Modells: Selbstbetroffene mit ihren Kenntnissen und ihrer "erlebten Kompetenz" und professionell tätige Sozialarbeiter mit ihrer "erlernten Kompentenz" sollten diese neue partnerschaftlich arbeitende Institution - zunächst "Krebskontaktstelle" genannt - bilden. Von Beginn an waren daher die Selbsthilfegruppen an Entscheidungen, die sie und die krebserkrankten Menschen betreffen, gleichberechtigt beteiligt. Die Überzeugung, die dieser Idee zu Grunde lag, war, dass flankierende Hilfen für an Krebs erkrankte Menschen auf diese Weise eine höhere Qualität und Quantität erreichen, und dass gemeinsam gesellschaftlich mehr bewirkt werden kann.

Selbsthilfegruppen chronisch kranker und behinderter Menschen haben spezielle Angebote für Gleichbetroffene: Gespräche und Erfahrungsaustausch, Besucherdienst im Krankenhaus, Information und die Möglichkeit, das eigene durchgestandene Leid nachträglich für andere nurtzbar zu machen. Kennzeichnend für Selbsthilfegruppen ist, dass alle Mitarbeiter der Gruppen selbst betroffen sind, ihre Arbeit ehrenamtlich leisten und dass die Angebote sich ebenso an die Angehörigen richten. Es wird auch zusammen gefeiert oder gemeinsam etwas unternommen.

Die Kontinuität der Arbeit der Gruppen wird u.a. dadurch sichtbar, dass die Selbsthilfegruppen bereits etliche Jubiläen mit uns feierten: das 20jährige Bestehen der Alsdorfer Gruppe 2005, 2001 die Deutsche ILCO - Region Aachen-Düren-Nordeifel ihr 25jähriges Bestehen, 2002 waren es 25 Jahre Frauenselbsthilfe nach Krebs Aachen/Stolberg, der Bezirksverein für die Kehlkopflosen feierte sein 25jähriges Jubiläum, die Simmerather Selbsthilfegruppe ihr 10jähriges und die Wassenberger Gruppe ihr 15jähriges Bestehen.

Neben Anerkennungen für einzelne Verantwortliche (Bundesverdienstkreuz) und einzelne Selbsthilfegruppen (Gesundheitspreise) gab es Aktionen zugunsten der Gruppen wie z.B. der gemeinsamen Aktion "Närrisches Pflegefestival" von Krankenhäusern, ambulanten Pflegediensten, einem Altenheim und der AOK im Kreisgebiet, dessen Reinerlös von 10 000 DM die Selbsthilfegruppen nach Krebs im Kreis Aachen erhielten.

Sicher hat die Einrichtung unabhängiger psychosozialer Krebsberatung durch die gelebte Demokratie nicht nur viele schwierige Situationen überwinden können, sondern ist gestärkt aus ihnen hervorgegangen. Ein Zeichen dafür mag sein, dass es beispielsweise in Deutschland keine weitere Krebsberatungs- und Kontaktstelle gibt, mit der sich so viele Krebs-Selbsthilfegruppen zusammengeschlossen haben. Ein unvergessliches Beispiel für dieses Zusammengehörigkeitsgefühl ist, dass die Selbsthilfegruppen - als 1990 öffentliche Mittel für die KBS und andere Beratungseinrichtungen wegfallen sollten - mit in wenigen Wochen gesammelten 7000 Unterschriften für eine Weiterfinanzierung eingetreten sind (Inzwischen hat der Verein mit der Stadt- und dem Kreis Aachen 3-Jahres Verträge).

Zielstellung des Zusammenwirkens ehrenamtlichen und beruflichen Expertentums ist es, möglichst effektive Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten: für ein Leben mit der Krebserkrankung bei bestmöglicher Lebensqualität, für eine angemessene und effiziente Nutzung der gegebenen Dienstleistungsangebote und zur Mitarbeit an einer patientenorientierten Weiterentwicklung dieser Angebote.

Mit dieser institutionalisierten Verknüpfung von erlebter und erlernter Kompetenz (wobei die Autonomie "der Selbsthilfe" selbstverständlich gegeben ist) konnte tatsächlich ein hoher Wirkungsgrad (mit geringen finanziellen Mitteln) erreicht werden. Gerade diese erfolgreiche Zusammenarbeit stärkte nicht nur die Selbsthilfegruppen selbst. Sie war sehr wirksam als Hilfe für Betroffene, in der Öffentlichkeits- und Multiplikatorenarbeit für Prävention, Früherkennung, Nachsorge (tertiäre Prävention) und vor allem mit gesundheits- und sozialpolitischen Verbesserungsvorschlägen - einem wichtigen Beitrag im Sinne "gesundheitlichen Verbraucherschutzes".

Für Prävention war die größte gemeinsame Aktion die Kampagne gegen Hautkrebs - zusammen mit der Deutschen Krebshilfe, dem Förderkreis Tumorzentrum und dem Tumorzentrum Aachen: Informationsstände, Vorträge in Kindergärten und Schulen, "Medizin-Forum" der Geilenkirchener Zeitung, Pressegespräche. Von den Selbsthilfegruppen wurde flächendeckend in Aachen und im Kreisgebiet Informationsmaterial an Apotheken, Frauen-, Haut- und Kinderarztpraxen verteilt.

Für Früherkennung und Prävention gab es in den Jahren zwei große gemeinsame Aktionen. Sehr erfolgreich war 1993 die Kampagne von KBS, Selbsthilfegruppen und Förderkreis Tumorzentrum zur Erhöhung der Teilnahmequoten an den gesetzlichen Krebsfrüherkennungsuntersuchungen und am Gesundheits-Check. Hierbei haben 75 Angehörige aus den Selbsthilfegruppen Hausärzte im Stadt- und Kreisgebiet Aachen in ihrer Praxis besucht. Sie übergaben jedem - verbunden mit einem informierenden Gespräch - ein Informationspaket mit Material zur Gesundheitsvorsorge und Krebsfrüherkennung. Im klassischen Verständnis von Selbsthilfe ist damit eigenes durchgestandenes Leid nachträglich für andere nutzbar gemacht worden. Der große Erfolg dieser Kampagne spricht für sich. Wie herausragend Aktion und Ergebnis waren zeigte sich auch an der Berichterstattung in den Medien. Ausserdem wurde für diese Kampagne der Ernst-von-Leyden-Preis verliehen, mit dem vom Deutschen Krebsforschungszentrum besondere Leistungen in der Früherkennung auszeichnet werden.

 
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Mit den Kampagnen zur Erhöhung der Teilnahme an Krebsfrüherkennungsuntersuchungen stieg wie beabsichtigt auch die Anzahl der durchgeführten Untersuchungen. Die Untersuchungen zeigten hinsichtlich der Diagnosesicherheit deutliche Unterschiede zwischen den einzelnen Krebserkrankungen. In Folge dessen konzentriert sich die 2004 / 2005 umgesetzte Kampagne auf die Darmkrebsfrüherkennung (siehe zur ProjektübersichtProjektübersicht).

Seit 1997 werden die größten gemeinsamen Anstrengungen zur Verbesserung der Brustkrebsfrüherkennung unternommen - mit Unterstützung der niederländischen und belgischen Nachbarn. Das ehrgeizige Ziel: Die Brustkrebssterblichkeit in der Aachener Region soll - wie in anderen europäischen Ländern - durch Einführung der qualitätsgesicherten Brustkrebsfrüherkennung nach den europäischen Standards (Screening) um 30% gesenkt werden. An die 43 000 Unterschriften (so viele, wie Frauen jährlich an Brustkrebs sterben) wurden von KBS und Selbsthilfegruppen gesammelt und der Bundesgesundheitsministerin überreicht, um damit einen Antrag der Aachener Initiative an den Bundesausschuss Ärzte und Krankenkassen zur Erprobung eines solchen Screenings zu unterstützen. An vielen Beiträgen in Fernsehen und Presse waren Mitglieder der Aachener Frauenselbsthilfe nach Krebs beteiligt. Für 2005 sind zahlreiche Aktionen geplant, zur Umsetzung des (einstimmigen) Beschlusses des Deutschen Bundestages von Juni 2002 für das Brustkrebsfrüherkennungsprogramm (Mammographie-Screening nach europäischen Leitlinien mit der Errichtung von Referenzzentren).

Wesentlich für den gesamten Rehabilitationsprozess an Krebs Erkrankter ist die besondere Glaubwürdigkeit krebsbetroffener, behinderter Menschen in Selbsthilfegruppen. Sie beweisen durch ihr eigenes Beispiel, dass auch mit Krankheit und Behinderung ein sinnerfülltes, selbstbestimmtes und würdiges Leben möglich ist. Betroffene sind die Experten ihrer Erkrankung und all ihrer Folgen. Gerade die Arbeit der bundesweit tätigen Selbsthilfeorganisationen kommt dabei nicht nur ihren Mitgliedern, sondern allen Betroffenen zu Gute. Sie sorgen beispielsweise für umfassende, betroffenengerechte Rehabilitationsmaßnahmen sowie - durch ihre Unabhängigkeit von kommerziellen Leistungsanbietern und Unternehmen - für die Interessenvertretung in Gesundheits- und Sozialpolitik und für gesicherte Informationen. Die besondere Kompetenz und das breite Erfahrungswissen von Selbsthilfeorganisationen sind unersetzlich auch für die Verbesserung der Qualität medizinischer Versorgungsangebote.

Bei einer anonymen Befragung der Selbsthilfegruppenmitglieder durch eine Studentin der Sozialarbeit im Rahmen ihrer Diplomarbeit wurden die Gruppen der Aachener Kontaktstelle sehr positiv bewertet. Beispielsweise beantworteten 76% die Frage, ob sie durch den Besuch der Selbsthilfegruppe mehr Selbstbewusstsein entwickelt hätten, mit Zustimmung, jeweils 72% hatten durch den Besuch der Gruppe neue Lebensperspektiven gewonnen und die Erkrankung besser verkraftet, je 65% gewannen neue Lebensqualität und empfanden sich als insgesamt zufriedener. Immerhin 52% gaben an, sie hätten jetzt einen größeren Freundeskreis. Auffallend ist, dass 43% antworteten, sich seit der Teilnahme an der Selbsthilfegruppe verstärkt sozial und politisch zu engagieren. Das bestärkt die Erfahrungen aus 25 Jahren Arbeit von Krebsberatungs- und Kontaktstelle, dass die "Aachener" Selbsthilfegruppen sehr wirksam mit Innen- und Aussenweltbezug arbeiten.